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F?ngt man jetzt mit den Leichen an oder lieber doch mit den Pudeln? Also gut: erst mal die Hunde. Neben Pat Appletons Wohnungstür im vierten Stock eines Kreuzberger Altbaus h?ngt ein Bild von seltener Abscheulichkeit. Es zeigt eine Horde von akkurat frisierten Pudeln. Bei dem Grauen handelt es sich um ein Puzzle, das ein schmerzfreier Mensch zuerst in mühevoller Kleinarbeit zusammengesetzt haben mu?, dann auf einen Pappkarton geklebt und schlie?lich an der Flurwand angebracht hat. "Ist doch gut", findet Pat Appleton, die das Pudelpuzzle vom Vormieter anstandslos übernommen hat, "so glaubt doch keiner, da? hier ein Popstar wohnt, oder?"
Das mit dem Popstar ist wahrscheinlich mal wieder pure Ironie. Das kann Pat Appleton ohnehin ziemlich gut, Sachen mit ihrer angenehmen Altstimme sagen und singen, die man nicht allzu ernst nehmen sollte. Sie ist dadurch auch international bekannt geworden, als weibliche Hauptstimme des Heidelberger Bossa-Jazz-Soul-Kollektivs De-Phazz. 1999 gelang der Gruppe der Durchbruch in Deutschland und Zentraleuropa mit einem Stück namens "Mambo Craze", das sich Pat Appleton und der De-Phazz-Gründer Pit Baumgartner gemeinsam ausgedacht hatten. Tats?chlich: ein Mambo. Kühl und mond?n und l?ssig und retro dargeboten. Aber auch irgendwie mit einem schiefen, sarkastischen Grinsen. Das Lied lief hoch und runter in den Clubs, ebenso in den neuen Wirtschaftswunder-Lounges, den Boutiquen und schlie?lich in der Fernsehwerbung: der heimliche Sommerhit zur Jahrtausendwende "Da verdiene ich heute noch dran", l?chelt Pat Appleton, "irgendeine Tütensuppe gibt's immer, die den ,Mambo' verbr?t."
Ein Popstar redet so eigentlich nicht. Obwohl, objektiv betrachtet, ist Pat Appleton ja einer. Gro?e Fan-Gruppen in Frankreich, Kanada, den baltischen Staaten. In Kiew gab es sogar Bodyguards und abgesperrte Autobahnen beim Konzert. Von der vorletzten CD, "Death by Chocolate", wurden über 100 000 Einheiten weltweit verkauft. Und auch in Deutschland, wo der Prophet der leicht schr?gen Muse oft nichts gilt, wissen die Menschen mit Cabrio, Cocktailbar-Erfahrung, Frauenmagazin-Abo und Tanzmusikgeschmack, was sie an De-Phazz haben: stilvollen Kitsch deluxe für alle Gelegenheiten. In Berlin wurde Pat Appleton dazu auserkoren, als Botschafterin für den Nobel-Club "Goya", der im Herbst er?ffnen soll, ihr Gesicht zu leihen. Es ist seit M?rz sehr gro? und sehr oft in der Stadt auf Plakaten zu sehen. Wenn man das alles zusammennimmt, mu? man sagen: So ein Pudel-Puzzle ist das Mindeste an Extravaganz, was die De-Phazz-Anh?nger ihrer stets gut gelaunten Frontfrau zutrauen dürften.
Denkt man sich jedenfalls, wenn man Platz nimmt auf der gemütlichen roten Sitzgruppe, die sich Pat Appleton und ihr Freund als bislang einzigen Farbtupfer ins saalartige Wohn- und Kochzimmer ihrer neuen Wohnung gestellt haben. Auf dem Couchtisch liegen zwei Leih-DVDs, die schon seit mehreren Tagen überf?llig sind. "Die schmei?en uns bestimmt aus der Videothek", ulkt die S?ngerin, die brutto seit drei Jahren in Berlin lebt, netto seit anderthalb, weil sie so viel unterwegs ist. Momentan vor allem wegen ihrer ersten Solo-CD, die sie mit Leuten aus den verschiedensten Winkeln Europas aufnimmt.
Eisbrechen nicht n?tig, die ist nett, die Pat, offen und extrem uneitel. Führt einen durch die R?ume, wo es noch wie Kraut und Rüben aussieht, weil sich die Renovierung schleppend dahinzieht. Brüht Espresso auf und stellt Erdbeerkuchen vom Biob?cker auf den Tisch. Lacht viel, auch über schlechte Journalistenwitze, und erz?hlt frei von der Leber weg. Davon, da? sie in Aachen auf die Welt kam als Tochter einer Deutschen und eines Architekten aus Liberia. Davon, da? sie mit sechs Jahren ins Heimatland des Vaters übersiedelte, wo sie von den Nonnen in der Missionsschule praktisch t?glich mit Bibel-Schl?gen auf den Kopf geweckt wurde und nachher froh war, als sie die amerikanische High School besuchen durfte. Auch davon, da? ihr 12. Geburtstag eher doof war, weil just an diesem Tag der liberianische Staatspr?sident ermordet wurde und das Milit?r die Macht übernahm, weshalb ihre Feier aufgrund der allgemeinen Ausgangssperre ins Wasser fiel.
Oder von den Leichen, die man ?fters sah, hingemetzelt auf den Stra?en oder angeschwemmt an den Strand, wo die Mutter eigentlich gerade eine Grill-Party geben wollte, eine von der Sorte, zu der die Perlwein-Musik von De-Phazz bestimmt hervorragend gepa?t h?tte. Mama, die Vollblut-Rheinl?nderin, lie? sich die Stimmung nicht vermiesen und feierte trotzdem, ein paar hundert Meter entfernt von dem Toten. Die Tochter bekam's mit und verdr?ngte es auch schnell wieder. Bis sie unl?ngst im von Liberia weit entfernten Berlin an der Friedrichstra?e entlang spazierte. Dort war eine Ausstellung ausplakatiert mit dem berühmten schlimmen Foto von der Tsunami-Katastrophe. "Das alles: dieser wundervolle Strand und diese aufgebl?hte Leiche. Das hat mich so an Liberia erinnert", bekennt Pat Appleton. Und ihr Lachen, das für gew?hnlich leicht derbe, hat pl?tzlich einen unsicheren Unterton.
Man stellt dann auch so dumme Fragen. Ob sie denn "Hotel Ruanda" gesehen habe, das sei ja echt wie im Film, was sie da teilweise erlebt habe. "N?", sagt die Musikerin, "ich hatte kein Bedürfnis, weil ich das alles doch sehr live gesehen habe. Ich brauche das nicht noch einmal im Kino, die Leichen auf den Stra?en. Die schauen in Wirklichkeit anders aus." Ein st?rkerer Kontrast zu dem Eskapismus-Swing, den Pat Appleton mit De-Phazz pflegt, l??t sich ehrlich gesagt nicht denken. "Uns wird ja gerne vorgeworfen, da? wir immer ein wenig zu beliebig und unverf?nglich klingen, so Tralala-Musik eben", meint die S?ngerin, "ich pers?nlich finde es aber gar nicht so schlimm, wenn man bei De-Phazz mond?n sein Getr?nk zu sich nimmt und denkt, die Stimme im Hintergrund würde irgend etwas Nettes s?useln." Weil es genügend Elend in der Welt gibt. Und weil es die Texte und Plattentitel der Gruppe teilweise faustdick zwischen den Zeilen haben.
Nur ein Beispiel: der Erfolgs-Tontr?ger "Death by Chocolate". Er verdankt seinen Namen dem zynischsten Nachtisch, den Pat Appleton jemals gegessen hat. In Nairobi war das, in einem Hotel, in das sich die Familie geflüchtet hatte, weil es auf der Stra?e Unruhen gab, mit gezückten Maschinengewehren, brennenden Autos und derlei mehr. "Wir sa?en also im Hotelrestaurant und haben da ein Vier-G?nge-Menü gegessen, w?hrend sich die Leute vor der Tür die K?pfe eingeschlagen haben. Und zum Schlu? kam der Kellner im Livree an und fragte: Wollen Sie noch ein Dessert? Und dann gab's natürlich ausgerechnet, Death by Chocolate', eine heftige Schoko-Torte." Ob das auch den CD-H?rern schmeckt?
Wenn es nach ihrem Vater gegangen w?re, dann w?re Pat Appleton ohnehin nicht in der Musik gelandet. Sondern Pr?sidentin von Liberia geworden. Vor dem Putsch war ihr Vater immerhin Generaldirektor der Wohnungsbaubeh?rde der westafrikanischen Republik gewesen. Und ja, als Pat mit 18 zurück nach Deutschland ging, schrieb sie sich in Heidelberg brav für Politikwissenschaften ein. Nebenbei sang sie allerdings in einer Partyband, "alles, von Whitney Houston bis Zarah Leander", konnte man prima mit Geld verdienen. überhaupt war das auch immer ihr heimlicher Berufswunsch gewesen, S?ngerin werden, seitdem sie mit drei Jahren zum ersten Mal die ZDF-Hitparade gesehen hatte und sp?ter Herbert Gr?nemeyers "Bochum"-Stakkato im liberianischen Kinderzimmer hoffnungslos verfiel. Bei der Vokal-Aushilfsarbeit für die Kinderkassetten, die ein schwedisches M?belhaus in Heidelberg anfertigen lie?, lernte sie dann den Sampling-Spezialisten und Produzenten Pit Baumgartner kennen. Der Rest ist De-Phazz Geschichte. Und Pat Appleton wurde zu einem internationalen Aush?ngeschild für die neue deutsche Leichtigkeit. Die will erst gelernt sein. "In Portugal haben sie uns mal zur Seite genommen und uns gesagt, da? wir endlich aufh?ren sollten, uns dafür zu sch?men, da? wir Deutsche seien. Das sei doch gar nicht so schlimm!"
Das Heidelberger Kurpf?lzisch schimmert immer noch ein bi?chen durch, wenn die Wahlberlinerin solche S?tze spricht. Und so richtig eigentümlich wird es, wenn sie sich vorstellt, was sie als alte Frau mal machen wird. "Ich werde vielleicht sogar doch noch Politikerin, so mit Brille und verkn?chertem Gesicht. Ich würde n?mlich gerne die Autos, so gut, wie es geht, aus der Stadt verbannen. Gerade denke ich: Man sollte doch wirklich was unternehmen. Alle sitzen rum und meckern und tun nix. Es w?re Zeit für eine Revolution." Das nackerte Kitsch-Porzellanpüppchen im Rücken der S?ngerin schaut erstaunt. Pat Appleton, die ironische Vors?ngerin der leidenschaftslosen Generation '89, würde gerne auf die Barrikaden gehen. Da? das des Pudels Kern sein k?nnte, h?tte man nicht gedacht.